Shahpur Jat

Das Dorf der Mode

Mode

March 1, 2016

/ By and

Indien fur sie

März 2016



Rate this post
(Im Uhrzeigersinn von oben links) Einer der vielen Graffitis in dem Ort, die an allen Ecken und Winkeln zu finden sind; Ein hochwertiger Designer-Ausstellungsraum in den engen Gassen des Dorfes; Eine perfekte Mischung aus Dorfleben und Designerstudios und Shahpur Jat hat sich zu einem Modezentrum entwickelt, das über die Jahre täglich Modeenthusiasten anzieht

(Im Uhrzeigersinn von oben links) Einer der vielen Graffitis in dem Ort, die an allen Ecken und Winkeln zu finden sind; Ein hochwertiger Designer-Ausstellungsraum in den engen Gassen des Dorfes; Eine perfekte Mischung aus Dorfleben und Designerstudios und Shahpur Jat hat sich zu einem Modezentrum entwickelt, das über die Jahre täglich Modeenthusiasten anzieht

Das Dorf in Süd-Delhi hat sich über die Jahre einen Namen als Zentrum der Mode gemacht. Der Kontrast zwischen der dorfähnlichen Umgebung und hochwertigen Designerstudios ist ein Blickfänger, verbirgt aber auch die harte Realität des Modegeschäfts.

Jede vorbeischlendernde Person mit zuversichtlichen Blicken anzuschauen und zu hoffen, dass er oder sie ein potentieller Kunde sein könnte, ist zur täglichen Aufgabe für Pankaj Anand geworden, einem Designer der seine kleine Boutique seit fünf Jahren in einer der engen Straßen von Shahpur Jat betreibt. Pankaj kam mit rosigen Vorstellungen von Lucknow nach Delhi, der Hauptstadt des nördlichen Staates Uttar Pradesh. Er began seine Karriere als Designer einer der anerkanntesten Modeschulen des Landes, dem NIFT (National Institute of Fashion Technology) in Delhi, ein Traum für viele junge Modebegeisterte des Landes ist. Nach seinem Abschluss arbeitete er mit so manchen prominenten Namen der indischen Modeindustrie zusammen, wie zum Beispiel dem berühmten Designer Varun Bahl. All diese Jahre lang war Anand am sparen, um sich eines Tages schließlich eine eigene Boutique in dem geschäftigen Dorf Shahpur Jat einzurichten. Dort wird die Eröffnung einer Boutique als Sprungbrett für aufkommende Designer angesehen, die Eindruck in der indischen Modewelt schaffen wollen. Ein derartiges Charisma des Dorfes zieht Scharen von Designern und Künstlern aus allen Teilen des Landes und auch aus der ganzen Welt an. Lucie Salaun, eine französische Innenraumdesignerin, die als Pächterin in einer der alten Havelis (Herrehäuser) des Dorfes lebt, hat sich stark von der avantgardistischen Architektur von Shahpur Jat inspirieren lassen und verwandelt ihr Haveli in Zusammenarbeit mit Catherine Prakash, einer weiteren Französin die seit zwölf Jahren in Delhi lebt, in das klassische Geschäft ‘Les Parisiennes’. Es ähnelt dem Flair eines Pariser Damenzimmers. Heute ist ihr Geschäft bekannt für alles französische und zieht neben Franzosen auch große Zahlen von indischen Kunden an. Der Erfolg ist so groß, dass mittlerweile ein kleines Café in dem Geschäft eröffnet wurde, um dem Klientel eine perfekte Mischung aus französischer Küche und Mode zu bieten. Es gibt nicht nur in dem französischen Geschäft ein Café. In den engen Gassen des Dorfes sind viele kleine Cafés zu finden, die vor den künstlerischen Designerstudios das Aroma von frisch gebackenen Plätzchen und gut gebrautem Kaffee verbreiten— dies kreiert so eine unkonventionelle Umgebung, die man in einer so chaotischen und hektischen Hauptstadt nicht so schnell findet.

Entwicklung des Dorfes

Das Dorf ist zu einem Großteil von Jats bevölkert, einer traditionell landwirtschaftlichen Gemeinschaft aus dem Norden Indiens, welche vor einigen Jahrzehnten in das Dorf migriert ist. “Mit Delhi als Hauptstadt kamen Menschen aus dem ganzen Land in dorthin, auf der Suche nach besseren Arbeitsaussichten. Außerdem kamen sogenannte Karigars (Kunsthandwerker) aus Kalkutta (Hauptstadt von Westbengalen), welche die Expertise im Handwerk in das Dorf drängten und Werkstätten eröffneten, sobald Mieträume im Dorf zur Verfügung standen. Über die Jahre begannen die Mieteinnahmen für die Dorfbewohner die traditionellen Einnahmen des Milchverkaufs zu übersteigen,” sagt der 34-jährige Khan Bhai der das Perlenschmuckgeschäft „Khan Zari House“ seit 1999 in dem Dorf betreibt, fast zwei Jahrzehnte nachdem es von seinem Vater gegründet wurde. Durch die Nahe Lage zu den reichen Gebieten Süd-Delhis hat Shahpur Jat viele weibliche Kunden der Oberklasse angezogen, die auf der Suche nach Kunsthandwerk und Materialien waren. Nach und nach bemerkten angehende Designer den Trend von Kunsthandwerk in dem Dorf und entflohen den sehr hohen Mieten in den großen Marktstraßen, nutzten aber die Gelegenheit in dem Dorf.

Außerdem ist das NIFT nur einen Steinwurf vom Dorf entfernt. “Designstudenten des NIFT kommen sehr oft ins Dorf für ihre Projekte – es ist zu ihrem zweiten Zuhause geworden,” ergänzt Khan Bhai. Letztendlich wurde das Dorf unter den Designern bekannt und wurde zum Sprungbrett für aufkommende Talente. “Es wurde als golden Chance gesehen, jeder mit genug Geld auf der Seite begann verschwenderische Ausstellungsräume in dem Dorf zu eröffnen, nur um zur Modeindustrie zu gehören – obwohl viele von Ihnen nicht künstlerisch begabt waren oder einen geeigneten Abschluss dafür besaßen,” sagt Anand. Die Flut leichten Geldes beim Aufbau der Boutiquen hob die Mieten über das Limit der Designer, welche oft Schwierigkeiten zu Beginn ihrer Karrieren haben. “Vor fünf Jahren habe ich diesen Laden zu einer Miete von INR 12,000 (165€) übernommen und der Ausstellungsraum vorne in der Boutique kostet INR 50,000 (690€), was meinen Vermieter natürlich dazu verführen könnte für mich selber eine ähnlich hohe Miete zu verlangen oder mich direkt durch einen reichen Sprössling zu ersetzen,” sagt der Designer, frustriert von den Entwicklungen in dem Dorf, während er ständig in Erinnerungen an die guten alten Zeiten schwelgt.

 

(Im Uhrzeigersinn von oben links) Versteckte Werkstätten in dem Dorf bieten ein Zuhause für zahlreiche Handwerker aus Kalkutta, die sich einen Lebensunterhalt verdienen; Kleine Cafés in den engen Gassen des Dorfes; Dorfbewohner, denen Land hier gehört verbringen ihre Zeit meist entspannt; Die klassische Inneneinrichtung des französischen Konzeptgeschäfts Les Parisiennes, das von zwei Französinnen geführt wird.

(Im Uhrzeigersinn von oben links) Versteckte Werkstätten in dem Dorf bieten ein Zuhause für zahlreiche Handwerker aus Kalkutta, die sich einen Lebensunterhalt verdienen; Kleine Cafés in den engen Gassen des Dorfes; Dorfbewohner, denen Land hier gehört verbringen ihre Zeit meist entspannt; Die klassische Inneneinrichtung des französischen Konzeptgeschäfts Les Parisiennes, das von zwei Französinnen geführt wird.

Ähnliche Gedanken werden von vielen Künstlern geäußert, die Probleme damit haben, in dem Dorf zu überleben, da eine Präsenz dort enorm wichtig für das Geschäft ist. Poonam Arora, ein weiterer Designer der vor zwei Jahren ins Dorf kam, sagt: “Egal, ob unsere Umsatzzahlen gewachsen sind, wir müssen hier präsent sein, da es eine Grundvoraussetzung für jeden angehenden Designer ist, hier eine Boutique zu haben.“

Sättigung

Bei raketenartig steigenden Mieten müssen viele Kunsthandwerker aus Kalkutta „Adieu“ zu dem Dorf sagen. Ob auf der Suche nach einer neuen Niederlassung oder auf dem Weg nach Hause. Der Exitus ist so gravierend, dass Shahpur zu Spitzenzeiten Heimat von fast 500.000 Kunsthandwerkern war und sich diese Nummer nun nur noch 25.000 beläuft. Auf der anderen Seite errichteten die Hauseigentümer neue Etagen, um einem Bevölkerungswachstum Herr zu werden. Der unverhoffte Gewinn bei den Mieten hat auch den Lebensstil der Dorfbewohner beeinflusst, welche ihre Zeit nun damit verbringen, rein gar nichts zu machen. “Diese Dorfbewohner verkaufen ihr Land niemals an Auswärtige – sie sind in diesem Sinne sehr eng gestrickt. Niemand besitzt die Räume, von denen aus sie ihre Geschäfte abwickeln. Alle Gebäude hier gehören den Ureinwohnern Jats und jeder ist dazu gezwungen, diese zu hohen Preisen anzumieten,” sagt ein entmutigter Khan Bhai, der versucht über die Runden zu kommen. Die Dorfbewohner hingegen sind einer Änderung des Lebensstils abgeneigt. “Nichts hat sich geändert. Es ist nur an der Oberfläche. Jedes Jahr bleiben unsere Räume für sechs bis sieben Monate leer, viele Mieter verschwinden ohne Miete zu zahlen und wir sind dazu verpflichtet Steuern zu zahlen, was vorher nicht der Fall war,” beschwert sich Suraj Singh, ein Wohnungseigentümer, während er auf einer Liege an seinem Tee nippt.

Erfolgsgeschichten

Es ist interessant zu sehen, dass auf der einen Seite die Transformation des Dorfes für manche vorteilhaft ist, für manche aber auch das Leben zum schlechten wendet. Nichtsdestotrotz, das Dorf hat viele renommierte indische Designer wie Samant Chauhan, Hemant und Nandita und viele mehr hervorgebracht, welche ihre Kollektionen nun auf prominenten indischen Modewochen Jahr für Jahr präsentieren und auch international Anerkennung gefunden haben. Samant Chauhan war aufgrund seiner preisträchtigen Abschlusskollektion bereits ein Star, als er das NIFT 2004 abschloss. Und als dieser Kleinstadtjunge aus Bihar sich gen Shahpur Jat gewendet hat, um seine Karriere zu beflügeln, gab es kein Zurück mehr. Im Handumdrehen began er damit, seine Kollektionen auf indischen Modewochen zu präsentieren und gewann von dort an Auszeichnungen auf der Singapore Fashion Week 2007 gefolgt von der prestigeträchtigen London Fashion Week, wo er seine Kollektion für vier aufeinander folgende Jahre ausstellte. Er erstellte sich dann seine eigene Niche in 2008, als er die Gelegenheit bekam, seine Frühlings-/ Sommerkollektion solo im Carrousel du Louvre in Paris vorzustellen. Seine Herbt-/ Winterkollektion 07 auf der India Fashion Show brachte ihm einen Artikel in der italienischen Ausgabe des Vogue Magazins ein, welches als Inbegriff der Mode gilt. Das Dorf bot auch ein perfektes Podium für das Designerduo Hemant und Nandita, welche dort ihren allerersten Schritt in das Modegeschäft mit der Eröffnung ihres Geschäfts im Jahre 2004 gewagt haben. Das Ehepaar verbindet zahlreiche Erinnerungen mit dem städtischen Dorf. “Shahpur Jat ist ein zentraler und gut zu erreichender Ort, welcher über all die Jahre zu einem Zentrum der Mode aufgestiegen ist. Es ist ein guter Ort, um Handwerker zu finden.” Das Duo betont, dass dieses Dorf Heimat vieler Stickereikunst ist, die die Kultur der Boutiquen fördert. “Dank der Verkaufsstände im Ort werden Besucher gut informiert und man erhält eine Kundenberatung aus erster Hand, was zu Anfang besonders wichtig ist”, fügen die Designer hinzu. Im Gegensatz zu Anand setzen sie noch viel auf das Dorf: “Das Dorf hat mit neuen Designerboutiquen mit der Geschwindigkeit der Mode mitgehalten und wurde zu einem tollen Platz für Start- Ups.” Ihre Überzeugung rührt daher, dass jetzt, wo das Duo sich einen respektablen Namen in der indischen Modebranche gemacht hat, ihre Produkte auch weltweit durch internationale Ketten vertrieben werden wie Neiman Marcus, Anthropologie, Revolve und Intermix. Außerdem hat ‘Not Just A Label’ über das Duo berichtet, eine führende Online-Plattform aus London für aufstrebende Designer.

Ähnlich verlief es für Ankita Chaudhary, die nach ihrem Abschluss an der NIFT nach Shahpur Jat kam und Großes im Blick hatte. Heute ist ihre Marke ‘Saaj By Ankita’ ein bekannter Name für Kleidungsstücke, die fest mit der indischen Kultur verwurzelt sind, aber auch kleine Hinweise auf europäische Stile bergen. Viele Kleidungsstücke ihrer Marke wurden in führenden indischen Modemagazinen vorgestellt, wie zum Beispiel dem Cosmopolitan India. Sie ist regelmäßiger Besucher der indischen Modewoche und hat ein namhaftes Klientel. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass in einer Stadt wie Delhi, die oft überfüllt mit Einheimischen und Migranten ist, ein Ort wie Shahpur Jat einen Platz für alle und jeden bietet. Wenn man in Delhi ist, sollte ein Besuch dieses sonderbaren Dorfes auf der Liste stehen – es ist ein Ballungszentrum ausgefallener Ideen, die den Künstler in Ihnen wecken werden.

YOU MAY ALSO LIKE

0 COMMENTS

    Leave a Reply

    Your email address will not be published. Required fields are marked *