Shantiniketan – Mehr als Tagore

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March 4, 2017

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Indien fur sie

März-April 2017



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Ein Kurztrip in die außergewöhnlichen Ecken der Universitätsstadt und Heimat des Nobelpreisträgers Rabindranath Tagore hält für Kunstfans und Entdecker einige Überraschungen bereit.

Wer Shantiniketan bereist wird unweigerlich entlang Reiserouten geführt, die dem kolossalen Lebenswerk Rabindranath Tagores (1861- 1941) Tribut zollen. Die Bedeutung seiner Universität und ihr Beitrag zur Entwicklung von Kunst und Literatur in Bengal unter dem Einfluss des Renaissancepoeten ist unbestreitbar. Jenseits der ausgetretenen Pfade jedoch gibt es für Besucher reichlich mehr zu entdecken. Insbesondere das bäuerliche Leben und die Stammeskulturen des Distrikts Birbhum lohnen einen genaueren Blick.

Die Viswa Bharati Universität, das Rabindra Bhavan Museum und der Uttarayan Komplex (in dem Tagore und seine Familie lebten) bleiben die wichtigsten Sehenswürdigkeiten, obwohl es in und um Shantiniketan weitaus mehr zu entdecken gibt. In der Tat haben die faszinierende provinzielle Szenerie und die ruhige Landschaft des ländlichen Bengalen aus dem kulturellen Erholungsort Shantiniketan ein beliebtes Ziel für Wochenendausflüge ab Kalkutta gemacht.

Der erste asiatische Nobelpreisträger Rabindranath Tagore (1913 für Literatur) gründete im Jahr 1901 in Shantiniketan eine kleine Schule, deren Lehrprinzipien auf Naturverbundenheit beruhten. Das Schulgebäude war zuvor von seinem Vater Maharshi Debendranath Tagore als Aschram, eine klosterähnliche Herberge, gebaut worden. Die Schule entwickelte sich später zur heutigen Viswa Bharati Universität.

Mit einer Erlaubnis ist es möglich, einen Rundgang über das Universitätsgelände zu unternehmen – unter der Bedingung, den Unterricht nicht zu stören. Dieser findet bis heute, wie Tagore es vorgesehen hatte, zum Teil unter schattigen Bäumen im Freien statt. Arpita, Studentin an der Fakultät für Geografie, beschreibt das Leben auf dem Campus so: „Das unkonventionelle Lehrmodell von Shantiniketan, nach welchem Studierende und Lehrende zu enger Zusammenarbeit ermutigt werden und der Unterricht im Freien stattfindet, lässt Besucher oft staunen. Wir finden es aber ziemlich erfrischend und modern. Kunst spielt hier eine wichtige Rolle und Kurse für Musik, Tanz, Theater, Malerei aber auch Geisteswissenschaften werden auf unterschiedlichen Niveaustufen angeboten – das lockt indische und internationale Studenten an unsere Universität.“

Während des Aufenthalts in Shantiniketan sind Radrikschas und seit neuestem auch E-Rikschas (Totos) die angenehmsten Transportmittel. Besucher sollten unbedingt die Universität und ihre surreale Schönheit und die angrenzenden Gebäude, die das Erbe von Tagore beherbergen, gesehen haben. Allerdings hat die quirlige Stadt Shantiniketan auch über Tagore hinaus viel zu bieten.

(links) Eine Gruppenmitglied mystischer Volksmusiker (genannt Bauls) spielt in der Nähe eines Lehmhauses in Satkahania (oben) Schauspieler aus indigenen Stämmen bei der Probe einer Jagdszene auf der Freilichtbühne des Theaterdorfs Tepantar

(links) Eine Gruppenmitglied mystischer Volksmusiker (genannt Bauls) spielt in der Nähe eines Lehmhauses in Satkahania (oben) Schauspieler aus indigenen Stämmen bei der Probe einer Jagdszene auf der Freilichtbühne des Theaterdorfs Tepantar

Tepantar – das Theaterdorf

In diesem Dorf, in dem Theater und darstellende Kunst von existenzieller Bedeutung sind, heißt Sie eine Gruppe junger Männer in traditioneller Stammeskleidung gehüllt und mit sorgenlosem Lächeln auf den Lippen willkommen. Ein Besuch in diesem Dorf ist wahrscheinlich die einzigartigste Möglichkeit, das ländliche Leben abseits der gewöhnlichen Pfade rund um Tagore kennenzulernen.

Tepantar ist Theaterdorf und kulturelles Zentrum im Dorf Satkahania (weniger als eine Stunde Fahrt von Shantiniketan entfernt) und gehört zum Distrikt Bardhaman im Westen Bengalens. Das Kulturzentrum wird von Ebong Amara geleitet, einer Artistengruppe, die aus Mitgliedern des örtlichen Stammes besteht. In den letzten zwanzig Jahren hat die Gruppe eine Art von Theaterkunst entwickelt, in der die Stammesbräuche einzigartig und detailgetreu dargestellt werden.

Dieser unvergleichliche Ort erstreckt sich über 16.000 Quadratmeter Land und enthält eine Freiluftbühne, Proberäume und eine Theaterwerkstatt für Schauspieler. Daneben befinden sich, strategisch platziert, Gästehäuser und Schlafsäle für Besucher. Im undurchdringlichen Waldgebiet Garh stellt das Dorf einen perfekten Rückzugsort für die Windungen des Ajoy Flusses dar – ein Blickfang, den Touristen und Kunstliebhaber gleichermaßen genießen. Die Dorfbewohner verdienen ihren Lebensunterhalt in dieser ländlichen Idylle auf unterschiedliche Weise und betreiben in Genossenschaften Geflügelzucht, Fischerei und Obstanbau.

Statue von Rabindranath Tagore am Eingang der Amar Kutir Gesellschaft – ein Ort echter Handwerkskunst

Statue von Rabindranath Tagore am Eingang der Amar Kutir Gesellschaft – ein Ort echter Handwerkskunst

Kallol Bhattacharya, Gründer der Theatergruppe Ebong Amra im Theaterdorf Satkahania, sagte: „Die meisten Mitglieder unserer Gruppe sind arm, sie kommen aus der Unterschicht und der Stammesgemeinschaft des Dorfs. Seit 1999 spielen sie hier auf der Freiluftbühne in Tepantar (der Name des Geländes, bedeutet große Fläche). Für den Betrieb des Zentrums wurde Einkommen benötigt – so begannen wir mit der Hilfe örtlicher Banken nach und nach mit der Geflügelzucht, der Fischerei und den Mango- und Guavenplantagen. Wir wollten ein Theater- und Kulturzentrum aufbauen, da es hier im ländlichen Bengalen nicht viele Schauspielschulen gibt, die eine ordentliche Ausbildung und die Möglichkeit, alternative Kunstformen kennenzulernen, bieten.“

Die Stammesmitglieder begehen Feste mit traditioneller Volksmusik und Tanzformen wie Bhadu, Tusu und Baul. Sie spezialisieren sich in allen Teilen der Theaterkunst – Schauspielerei, Musik, Tanz, Martial Arts, Produktion von Kulissen und so weiter – und gewähren jedem interessierten Kunstliebhaber Einblicke in ihren Erfahrungsschatz.

„Wir sind schon in ganz Indien und in Bangladesch aufgetreten. Im Oktober und März bieten wir jedes Wochenende hier auf unserem Gelände in Tepantar ganz einfache, verständliche Darbietungen an. Es gibt dann nicht nur Theaterstücke, sondern ein vielfältiges Kulturprogramm mit Stammestänzen lokaler Bewohner und Volksmusikkonzerten. Wir versuchen, hier eine kunst- und kulturorientierte Tourismusinfrastruktur zu entwickeln“, fügte Bhattacharya hinzu.

Der Name Tepantar steht in vielen bengalischen Sagen für ein mysteriöses, endloses Feld am Rand der Zivilisation. Ebong Amra hat im Lauf der letzten 14 Jahre erfolgreich dazu beigetragen, Raum für ein einzigartiges Miteinander aus Traum und Wirklichkeit zu schaffen. Dieses Modell lebt von den Stammesmitgliedern der Theatergruppe, die gleichzeitig in den Genossenschaften in Tepantar arbeiten, und soll ein Ziel für europäische Touristen sein, die sich für nachhaltiges Theater in Indien interessieren.

„Wir möchten unsere Tradition und Kultur erhalten und dieses Erbe an die nächste Generation weitergeben, aber es ist sehr schwer, die aktuelle Generation dafür zu begeistern“, sagte Robin Bauri, einer der Schauspieler der Gruppe. „Wir kommen aus einem rückständigen Teil der Gesellschaft aber wir wollen der Welt unsere Geschichten erzählen. Wir versuchen, den Kindern unsere Art der Schauspielerei näher zu bringen, damit sie diese in Zukunft weiterführen können“, fügte Manik Bauri, ein anderer Schauspieler, hinzu.

Die roten Straßen, verschlungene Pfade in den Wäldern und saubere Luft isolieren diesen Ort vom Rest der Welt. An den Ufern des malerischen Ajoy Flusses gelegen, hat die friedliche künstlerische Koexistenz und der unbändige Drang, ein Weltpublikum zu erreichen, diese stammesbewussten Schauspieler zu den großartigen Künstlern gemacht, die sie heute sind.

Die Gastfreundschaft dort ist aufrichtig und kommt von Herzen. Ob traditionelles Drei-Gänge-Menü oder frisch gepresster Saft, es sind die Schauspieler und Arbeiter im Theater, die Gäste kulinarisch umsorgen und zeigen, dass weniger manchmal mehr sein kann! Trotz des abgeschiedenen Eindrucks, den der Ort vermittelt, sind die Gästehäuser mit modernen Zimmern mit Bad, fließend Wasser und einer Küche ausgestattet, die Genießern die traditionellen Delikatessen der bengalischen Küche näherbringt.

KOLKATA

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Anreise


Shantiniketan und der Distrikt Birbhum liegen im Westen Kalkuttas und sind mit Fahrzeugen erreichbar. Eine Zugfahrt dorthin ist allerdings deutlich spannender. Man kann sich schnell in einer Gruppe von Baul Sängern mit einzigartigen Instrumenten wiederfinden. Sie unterhalten die Reisenden auf der Fahrt nach Bolpur, der Station für die Weiterreise nach Shantiniketan.

Unterkunft


In und um Shantiniketan gibt es eine Auswahl an Hotels und Resorts. Für Reisende, die mehr über die lokale Kultur und Küche erfahren möchten, bietet sich der Aufenthalt in einer Gastfamilie an.

Hauptattraktion

Wieder zurück in Shantiniketan, lohnt sich für die Suche nach Souvenirs außerhalb der Universität ein Blick nach Amar Kutir, wo echtes indisches Kunsthandwerk zu finden ist. Von Schlüsselanhängern über handgebundene Kalender und einer Auswahl an Lederprodukten, wie Handtaschen und Geldbörsen, bis hin zu einzigartigem Schmuck, werden hier wunderschöne Dinge zu erschwinglichen Preisen geboten.’

Etwas weiter entfernt von Amar Kutir, hinter Sriniketan, liegt Srijani Shilpa Gram (Kunstdorf), ein brillanter Ort mit makellos gestalteten Landhäusern, die die Lebensweise verschiedener indigener Stämme aus unterschiedlichen Teilen Indiens nachzeichnen. Hier bietet sich Besuchern ein guter Einblick in das Stammesleben, Handwerkskunst und Kultur. Entwickelt und verwaltet durch das EZCC (Eastern Zonal Cultural Center), ist die große Freifläche in Srijaniall ganzjährig Schauplatz zahlreicher kultureller Veranstaltungen.

Vor dem Abschied aus Shantiniketan sollten Reisende Khowei einen Besuch abstatten. Ein Abstecher in das weitläufige Gebiet, das geprägt ist von rotem Lateritboden und einem Kanal und das eine sonderbare Ansammlung von Baul Musikern beherbergt, kann sich als recht belebend erweisen. Khowai liegt nördlich des Universitätsviertels und zieht besonders Künstler und Fotografen an. Das Land ist von Wind und Wasser erodiert, woraus seltsame, wundervolle Rinnsale entstanden sind. In der Monsunzeit wird aus dem dämmrigen Himmel, dem sattgrünen Wald und der roten Erde ein unnachahmliches Erholungsgebiet für gestresste Seelen.

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